aus Partitur 'Vier Figuren'

Lettres

für Sopran, Klarinette und Violoncello (2004)

Als Vorlage meiner "Lettres" wählte ich einige kurze Fragmente aus "Le Livre dou Voir Dit" (Das Buch der wahren Begebenheit) von Guillaume de Machaut, niedergeschrieben um 1363-65. Dieses Werk steht in der Tradition der höfisch-weltlichen, von religiös-mystischen Elementen durchsetzten Dichtung des Mittelalters. Inhaltlich kreist es um die Liebesbeziehung des damals über sechzig Jahre alten Poeten, Komponisten und Kanonikers Machaut zu der viel jüngeren Peronelle d'Armentières. Eingestreut in die umfangreiche Verserzählung sind Briefe zwischen den beiden Hauptfiguren und zahlreiche Kompositionen.

Ausgangspunkt meiner Auseinandersetzung mit dem poetischen Inhalt von Machauts Dichtung waren die Aussagen der Peronelle, die in der umfangreichen Vorlage relativ wenig Platz einnehmen. Der Bezug ist also primär ein literarisch-poetischer und nicht ein musikalischer. Die Besetzung umfasst Sopran, Klarinette und Violoncello. Zur Wahl der Sopranstimme wurde ich angeregt sowohl durch eine Bemerkung Machauts in einem seiner ersten Briefe an Peronelle ("Ich sende Euch eine Ballade ..., ich bitte Euch, sie zu lernen"), als auch durch das damals ausgeprägte Ideal einer hohen, beweglichen und stilisierten Stimmführung.

Die Instrumentalstimmen sind von der Aura des Textes affiziert und bilden eine Erweiterung des poetischen Raums. Aber auch der konkrete Duktus der Singstimme färbt auf sie ab; sie greifen bestimmte metrische Verhältnisse in der Gesangslinie auf, und in den Passagen ohne Gesang entwickeln sie die vokale Gestik mit rein instrumentalen Mitteln weiter.

Meine Komposition bildet eine Reflexion über die von Inhalt und Umfang her einzigartige Dichtung Machauts im "kleinen" Medium der Kammermusik.

Bettina Skrzypczak

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