aus Partitur 'Vier Figuren'

Mouvement fantastique

für Orchester (2019)

Aus dem Programmheft der Uraufführung (13.9.2019, Beethovenfest Bonn):

Welche Klänge, Bilder und Ideen vermag eine so einzigartige romantische Erscheinung wie Clara Schumann bei einer heutigen Komponistin wachzurufen? In ihrem Orchesterwerk Mouvement fantastique vermeidet Bettina Skrzypczak jeden vordergründigen Realismus, wie er etwa durch Verarbeitung von motivischem Material oder durch Stilzitate entstünde. Ihr Weg ist ein anderer. Sie versucht eine Annäherung, indem sie Claras geistige Welt, die zugleich Roberts Welt ist, mit ihren eigenen kompositorischen Mitteln auf sehr vorsichtige Weise ertastet. Was sie fasziniert, sind die geheimnisvollen Chiffren, die subtilen, nur im Medium des Klangs wahrnehmbaren Signale und Reaktionsweisen, die intuitive Art der Kommunikation zwischen diesen zwei einzigartig begabten, poetischen Menschen. Wobei Poesie im romantischen Sinn verstanden werden muss als Ausdruck eines hellwachen Bewusstseins, das die Welt als Einheit begreift und Sinne und Intellekt gleichermaßen in Bewegung hält, gemäß dem Motto von Friedrich Schlegel, das Robert Schumann über seine Fantasie op. 17 setzte: „Durch alle Töne tönet / Im bunten Erdentraum / Ein leiser Ton gezogen / Für den, der heimlich lauschet.“
Diesem Ton, den Schumann auch zwischen sich und Clara zu vernehmen glaubte, möchte Bettina Skrzypczak mit ihrem  Mouvement fantastique nachspüren. Die in Polen geborene, seit dreißig Jahren in der Schweiz lebende Komponistin befasst sich schon sehr lange intensiv mit Schumanns Leben und Werk. Mit seinem umfassenden Weltbild, in dem musikalische, poetische und philosophische Aspekte verschmelzen, stellt er für sie die Verkörperung des romantischen Künstlers schlechthin dar, und die kompositorische Annäherung an Clara, die nun mit diesem Auftragswerk möglich wurde, bildet für ihre künstlerisch-wissenschaftliche Arbeit eine glückliche Ergänzung.
Das Klavier war das instrumentale Medium, in dem Clara und Robert ihre geheimen Botschaften austauschten. Auch im Orchesterstück Mouvement fantastique spielt es deshalb eine besondere Rolle: Es tritt öfters solistisch hervor – nicht als virtuoses Instrument, sondern als Resonanzkörper für Dialoge, die einmal eher intim, ein andermal eher dramatisch klingen. Es handelt sich hier also um ein Orchesterstück mit obligatem Klavier, nicht um ein Klavierkonzert. (Ein solches schrieb Bettina Skrzypczak bereits vor zwanzig Jahren.) Das nicht sehr lange, aber äußerst konzentriert gearbeitete Werk hat insgesamt einen lichten, schwerelosen Charakter. Die Streicher sind durchgehend pultweise geteilt, was den raffinierten, durch mikrotonale Schwebungen angereicherten Mischklängen eine zusätzliche Leichtigkeit verleiht. Die Musik befindet sich in permanentem Fluss und besitzt insgesamt eine aufwärtsstrebende Tendenz. Und vielleicht nimmt man darin auch etwas wahr von jenem leisen Ton, der die poetische Doppelexistenz von Clara und Robert auf so unnachahmliche Weise mit Leben erfüllte.

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